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Autorenbildאבי גולדברג

Mit Erschreckenschauen meine Freundeauf Deutschland

Interview mit Autor Michael G. Fritz über Israel, das Massaker der Hamas und die Reaktionen hierzulande


DRESDEN - Der Dresdner Schriftsteller Michael G. Fritz (70) ist ein passionierter Israel-Reisender seit vielen Jahren. Als Quintessenz sei-ner Reisen und Begegnungen veröffentlichte er im vergan-genen Jahr das Buch „Meinen Apfelstrudel sollten Sie sich nicht entgehen lassen“ mit „literarischen Einblicken in das Israel von heute“. Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober schaut er sor-genvoll auf die Situation. Wir sprachen mit ihm.



MOPO: Herr Fritz, Ihr Buch „Meinen Apfelstrudel sollten Sie sich nicht entgehen las-sen“, in dem sie von Begeg-nungen in Israel erzählen, ist wie eine Liebeserklärung an das Land. Mit welchen Emp-findungen blicken Sie derzeit dorthin?


Michael G. Fritz: Das Buch, das durch zahlreiche Begeg-nungen entstanden ist, vereint

literarische Porträts von Israelis, wodurch ein facettenreiches, authentisches Bild israelischer Lebenswirklichkeit entsteht. Das Wort Liebeserklärung erfasst nur die eine Seite meiner Hinwen-dung zu dem Land, die andere ist ganz rational: Deutsche und Juden sind historisch eng mit-einander verbunden durch ein jahrhundertelanges friedliches Zusammenleben, wobei die Na-zi-Zeit natürlich eine schreckli-che Zäsur bedeutet. Unsere Kul-tur ist jüdisch-christlich geprägt.


Man hörte auf den Straßen von Tel Aviv früher viel Deutsch, jetzt häufig Russisch. Der zweite Na-me Weiße Stadt kommt von den zahlreichen Bauhaus-Gebäu-den, errichtet von den jüdischen Architekten, die vor den Nazis geflohen sind.

Die Beispiele für den deutschen Einfluss in Israel ließen sich beliebig fortsetzen.


Einzelschicksale berühren


Jeder wusste, dass die Terro-risten der Hamas zu Gräueln fä-hig und bereit sind, fassungslos hat mich der Rückfall in finstere Barbarei gemacht. Zahlen sind immer abstrakt, es sind die Ein-zelschicksale, die uns besonders

berühren, in meinem Fall ist es die bestialische Ermordung der 22-jährigen Deutschen Shani Louk, die sich auf einem Mu-sikfestival in der Nähe des Ga-zastreifens befand. Sie wurde von den Terroristen, man kann es kaum aussprechen, sie wur-de geköpft. Vor einigen Jahren war ich selbst eine Woche lang auf einem Rockfestival gar nicht weit von diesem Platz in der Wüs-te entfernt, worüber ich auch in meinem Buch schreibe. Ich habe

sofort daran gedacht. Ich hätte keine Chance gehabt.


Was hören Sie von Ihren in Israel lebenden Freunden?

Ich sprach gestern per Skype mit einem Freund in Caesarea. Es gibt niemanden in Israel, der nicht betroffen ist, seine beiden Kinder, Anfang zwanzig, sind als Reser-visten eingezogen. Wer kann sa-gen, ob sie lebend nach Hause kommen? Seine Frau kauft seit Jahren in einem arabischen Dorf

ein, das einen Kilometer weit ent-fernt ist. Gemüse und Obst sind frisch, die arabischen Produkte mögen sie. Aber nun fährt seine Frau nicht mehr dorthin, sie hat ganz einfach Angst. Er selbst, ei-ner der vielen Gegner der Justiz-reform, der an den machtvollen

Demonstrationen gegen die Re-gierung teilnahm, hat sich sofort nach dem Hamas-Massaker zum freiwilligen Ernteeinsatz in einem Moschav, einem Dorf, nicht weit vom Gazastreifen, gemeldet. Das Land, bis vor Kurzem völlig zerstritten, man fürchtete zuwei-len einen Bürgerkrieg, steht nun zusammen. Es darf kein zweites Auschwitz geben. Darauf können sich alle einigen.Wie reflektiert Ihr israeli-sches Umfeld die Massaker der Hamas vom 7. Oktober und wie das erklärte Ziel der Regierung, die Hamas zu zer-stören?

Die Israelis hatten niemals da-mit gerechnet, dass die Hamas die Grenzanlagen

überraschen könnte.


Die Armee hat zu viel auf Technologie gesetzt, Truppen ins Westjordanland abgezogen und Netanjahu die Warnungen, die wohl zuhauf eintrafen, igno-riert. Er ist der Hamas in vielen Punkten entgegengekommen, hörte ich, weil er glaubte, Frieden erkaufen zu können. Aber er hat sich getäuscht. Im Parlament, in der Knesset, wurde ein Film

vorgeführt, der die barbarischen Taten in aller Deutlichkeit zeigte. Es gab viele Abgeordnete, die während des Films weinend den Raum verließen.


Wie ist Ihr eigener Blick auf das Geschehen?

Frieden mit einer Terrororga-nisation, deren alleiniges Ziel die Vernichtung jedes jüdischen Lebens und des Staates Israel ist, kann man nicht schließen. Die Hamas hatnicht nur jüdische Geiseln genommen, sondern ebenso die Einwohner von Gaza, die sie als menschliche Schutz-schilde benutzt. Sie ist beileibe keine Befreiungsorganisation.

In Israel scheint Konsens darin zu bestehen, die Hamas zu ver-nichten. Ob das gelingen wird, ist fraglich. Ich hoffe, dass dabei die palästinensische Zivilbevölke-rung geschützt wird.


Was sehen Sie, sehen Ihre Freunde, wenn sie augen-

blicklich auf Deutschland bli-cken?


Mit Erschrecken schauen mei-ne Freunde auf Deutschland, wo Antisemitismus, vor allem der importierte, salonfähig gewor-den ist, Pogromstimmung macht sich allerorten breit, jüdisches Leben scheint nur noch unter Po-lizeischutz möglich zu sein.


Ausschreitungen verstören


Antisemitisch äußern sich nicht allein Muslime, sondern ebenso Radikale von Links und Rechts.Der rechte Antisemitismus wurde immer thematisiert, der linke und der muslimische totge-schwiegen, weil er nicht ins politi-sche Konzept passte. Wenn man

aber etwas ändern will, muss man die Probleme benennen. Ich hoffe, dass spätestens jetzt nach diesen verstörenden antisemiti-schen Ausschreitungen ein Um-denken stattfindet.


Was sollten Staat und Gesellschaft dagegen tun?

Hier sind die Medien gefragt, wir brauchen eine offene, nicht ideologisch bestimmte euphe-mistische Berichterstattung. Wir brauchen viel mehr Informatio-nen über das Leben in Israel, den Alltag, die Menschen. Das setzt natürlich auch vorurteilsfreie Journalisten voraus.


Empfinden Sie die mediale Berichterstattung als vorur-teilsbeladen in einem antiisra-elischen Sinn?

Auf jeden Fall ist sie, sagen wir: unsensibel, vor allem im Fern-sehen. Als in den ersten Kriegs-tagen eine Rakete ein Kranken-haus traf, wurde ungeprüft die Hamas-Version übernommen und verbreitet, Israel habe sie abgefeuert. Später stellte sich heraus, die Rakete stammte wahrscheinlich vom Islamischen Dschihad. Es findet oft eine Tä-

ter-Opfer-Umkehr statt.


Haben Sie weitere literarische Pläne Israel betreffend? Werden Sie wieder reisen?

Israel, sagen meine Freunde allenthalben, wird nach diesem Krieg ein anderes Land werden. Ich besuche es, wenn es wieder möglich sein wird. Beileibe nicht nur literarisch bleibt Israel immer ein Thema für mich.

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